Es ist wirklich spannend, mit welchen Themen wir Geodäten und Ingenieure uns befassen und insbesondere, welche Verbindungen und Netzwerke sich auftun. Ich möchte dies an einem kleinen Beispiel veranschaulichen: Dass die Welt ein Dorf ist, muss eigentlich nicht mehr bewiesen werden; wir Geodäten wissen das sogar auf den Meter genau. Warum sonst sollte man einen Schulfreund, den man seit mehr als 20 Jahren nicht gesehen hat, in einer kleinen Kneipe auf einer Karibikinsel treffen? Netzwerk-Theoretiker sprechen vom so genannten Kleine-Welt-Phänomen. Dieses Phänomen besagt, dass jeder Mensch jeden beliebigen anderen Menschen über durchschnittlich sechs bis sieben Ecken kennt. Aber stimmt das eigentlich? Erstaunlicherweise haben neuere Studien die Zahl von sechs bis sieben bestätigt. Demnach haben Wissenschaftler anhand von öffentlich zugänglichen Daten sozialer Netzwerke festgestellt, dass 78 Prozent aller Kontakte über nur sieben Stationen erreicht werden können. Geht man über sechs Personen sind es immerhin noch 48 Prozent.
Die Analyse menschlicher Netzwerke hat aber nicht nur zum Kleine-Welt-Phänomen geführt, sondern auch andere interessante Ergebnisse zutage gebracht: Es gibt Menschen, die nur wenige Kontakte pflegen und es gibt jene, die einfach alles und jeden kennen. Netzwerk-Forscher interessieren sich besonders für jene Knoten, die überdurchschnittlich viele Verbindungen zu anderen Punkten haben.
An diesen Hubs, auch Superspreader genannt (um einmal nicht den Begriff Influencer zu verwenden), entscheidet sich, ob Informationen schnell verbreitet werden oder nicht. Marketingexperten versuchen beispielsweise, gezielt nur diese Menschen anzusprechen, um ihre Botschaften effizient zu verbreiten. Auch Epidemiologen nutzen derartige Modelle, um die Ausbreitung von Infektionen zu simulieren. Ziel ist mit relativ geringeren Impfquoten Epidemien zu verhindern indem hauptsächlich die Superspreader immunisiert werden. Und natürlich sind hier u.a. auch massenhaft Geodaten im Spiel.
Wir dürfen daher gespannt sein, welche neuen Geschäfts- und Anwendungsmodelle uns die vor knapp zwei Wochen auf dem Digitalgipfel in Dortmund vorgestellten digitalen Plattformen in der nächsten Zukunft eröffnen. Gleichzeitig müssen natürlich auch hinterfragen, unter welchen Verhaltensregeln wir solche Systeme und Daten nutzen wollen. Heißt, wir brauchen einen Diskurs über den verantwortungsvollen Umgang damit.
Ein Stichwort neben Big Data an dieser Stelle lautet KI – Künstliche Intelligenz oder auch Machine Learning. Algorithmen finden Wege, die möglicherweise nicht vorgesehen waren und offenbaren Dinge, auf die wir nie gekommen wären.
Unsere Gesellschaft befindet sich aktuell in einer digitalen Transformation, in der das Zusammenspiel von Mensch, sozialer Welt und Technik neu austariert wird. Wenn also angesichts der Digitalisierung, die lediglich als Chiffre für einen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess genutzt wird, mehr digitale Bildung gefordert wird, mutet das wie ein logischer Schluss an.
Und so ganz nebenbei: dem apokalyptischen Aktualismus derer, die das neue und ungewohnte für verdächtig halten, denen sei
Ludwig Wittgenstein entgegengehalten, der seinen «Tractatus logico-philosophicus» mit dem Satz schliesst: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Vielleicht erinnern Sie sich noch an das Kompendium von Dietrich Schwanitz «Bildung – Alles was man wissen muss», dem vielleicht einflussreichsten jüngeren Bildungskanon deutscher Sprache. Darin präsentierte der Autor auf 600 Seiten die Summe dessen, was man nach seinem Dafürhalten heutzutage wissen sollte, um als gebildet zu gelten. Von den Anfängen der abendländischen Kultur in Griechenland über die europäische Literatur-, Musik- und Ideengeschichte bis hin zur aktuellen Geschlechterdebatte wurde dort alles erwähnt, was sich als Thema für den gehobenen Partyplausch eignet.
Die Natur- und Ingenieurwissenschaften gehören nicht dazu. Sie tauchen bei Schwanitz nur im letzten Kapitel auf, unter der Überschrift: Was man nicht wissen sollte. Sogar in Liebesbeziehungen, so Schwanitz, stelle die Grenze zwischen den beiden Kulturen ein unüberwindbares Hindernis dar, wie er am fiktiven Beispiel der jungen Germanistin und Kunsthistorikerin Sabine erläutert: Dieser erscheint nach Studienaufenthalten in Paris und Florenz ihr langjähriger Freund, der Maschinenbauingenieur Torsten, wie ein geistiger Neandertaler.
Aktuellster Beleg für die ungebrochene Lebendigkeit dieses einseitigen Bildungsideals ist die Zusammensetzung des Deutschen Ethikrates, dessen Aufgabe es ist, die Bundesregierung in all jenen Fragen zu beraten, bei denen es – vereinfacht gesagt – zu einem Konflikt zwischen Moral und Machbarkeit kommt. In dieser durchaus hochkarätig besetzten Kommission finden sich ausschließlich Vertreter ebenjener Fächer, die bereits Goethes Faust mit „heißem Bemühn“ studiert hatte (wenn auch ohne durchschlagenden Erfolg): Philosophie, Juristerei, Medizin und Theologie.
Einen Ingenieur sucht man im Ethikrat vergeblich, obwohl die diskutierten Konflikte ihre Ursache oftmals im technischen Fortschritt haben. Offenbar ist man aber der Meinung, dass ethische Fragen nicht Sache der Natur- und Ingenieurwissenschaften sind.
Philosophen wie Hans Jonas sehen das anders. Eine Schwierigkeit, die sich zur Verwirklichung moralischer Grundsätze im Umgang mit Technik eröffnet, ist beispielsweise die globale Einigung aller Gesellschaften. Denn selbst, wenn ein Teil der Welt der durch Diskurse erlangten Technikethik zustimmt, kann sich ein anderer Teil der Welt weiterhin in ihrem Technikgebrauch modernen moralischen Werten widersetzen und so unseren Planeten und somit alle Menschen weiterhin gefährden. Verantwortungsethik nennt der Soziologe Max Weber dies.
Immerhin ist neuerdings ein Wandel erkennbar. Gefragt sind Menschen, die über digitale Kompetenzen und über technische Bildung verfügen. Benötigt werden dafür Kreativität und die Fähigkeit, Kontexte herzustellen.
Und hier lohnt sich ein Blick auf die Aktivitäten unseres heutigen Preisträgers, denn Manfred Weisensee hat die Zukunftstrends sehr früh erkannt und entsprechend agiert, beispielsweise mit seiner Beteiligung an der Einführung des Geoinformationswesens an der Hochschule in Oldenburg in den 1990er Jahren um nur ein Beispiel zu nennen. Heute wissen wir, dass Geodaten nicht mehr losgelöst von IT-Infrastrukturen und digitalen Geschäftsprozessen und –verfahren betrachtet werden können, sondern in Verbindung mit weiteren digitalen Informationen vernetzt werden. Dieses Potenzial zu erkennen und mit anderen Fachgebieten zu vernetzen, ist eine der Leistungen von Manfred Weisensee. Megatrends muss man nicht voraussagen, denn sie sind schon da und markieren Veränderungen, die uns schon lange prägen und auch noch lange prägen werden. Man muss sie nur identifizieren und (beispielsweise) auf das (berufliche) Umfeld anwenden. Manfred Weisensee war und ist in diesem Sinne immer schon in der Zukunft unterwegs gewesen.
Lieber Manfred, Dein Engagement, Deine wissenschaftliche Reputation, Deine Empathie und Dein offenes Miteinander zeichnen Dich als würdigen Preisträger des Goldenen Lotes ganz besonders aus. Ich freue mich sehr, Dich im Kreis der Lotträger begrüßen zu können.
Ich darf nun Stella Deetjen bitten, uns die Vita des heutigen Preisträgers etwas detaillierter näher zu bringen. Liebe Stella: Dein Publikum!