Die Mindest- und Höchstsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) sind nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Zu diesem Ergebnis kam am 4. Juli der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil im Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland. Damit ist eine Honorarvereinbarung im Rahmen der Mindest- und Höchstsätze der HOAI künftig nicht mehr zwingend vorgeschrieben.
Der vertraglichen Honorarvereinbarung der Vertragspartner kommt damit ab sofort eine größere Bedeutung zu. Das Urteil hat auch zur unmittelbaren Folge, dass die öffentlichen Stellen in Deutschland aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts verpflichtet sind, ab sofort die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden. Daher darf beispielsweise bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Architekten- oder Ingenieur-leistungen Angeboten der Zuschlag nicht mehr aufgrund der Tatsache verweigert werden, weil die angebotenen Preise unterhalb der Mindest- oder oberhalb der Нöchstsätze der HOAI liegen.
Was ist geschehen? Im Jahr 2015 hatte die Europäische Kommission das Vertragsverletzungsverfahren wegen der Mindest- und Höchsthonorarsätze der HOAI eingeleitet. Sie sah in diesen Regelungen einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsrichtlinie. Ihrer Ansicht nach waren ausländische Planungsbüros daran gehindert, in Deutschland zu Honoraren vor allem unterhalb, aber auch oberhalb der vorgegebenen Honorare zu arbeiten. Daher sei der Zugang auf den deutschen Planungsmarkt für Architekten und Ingenieure aus der EU nicht gewährleistet. Und diese Freizügigkeit ist eines der wichtigsten Prinzipien der Europäischen Union. Die Bundesregierung hat die Regelungen der HOAI in diesem Verfahren verteidigt. Sie machte geltend, dass mit bindenden Mindestpreisen die Ziele der Qualität der Planungsleistungen, des Verbraucherschutzes, der Bausicherheit, des Erhalts der Baukultur und des ökologischen Bauens erreicht werden sollen. Anders gesagt: zu niedrige Honorare führen potentiell zu einem Qualitätsverlust. Die Höchstpreise hingegen sollten den Verbraucherschutz sicherstellen, indem sie die Transparenz der Honorare im Hinblick auf die entsprechenden Leistungen gewährleisteten und überhöhte Honorare unterbänden.
Grundsätzlich wird in der Urteilsbegründung zwar ein Zusammenhang zwischen verbindlichen Honorarsätzen und Planungsqualität anerkannt, gleichwohl ist das Gericht der Argumentation der Bundesregierung letztlich aber nicht gefolgt. Unter anderem, weil auch fachlich nicht geeignete Personen – sprich: nicht ausgebildete Architekten und Ingenieure – nach bisherigem deutschem Recht den Mindestpreisen der HOAI unterliegen: „Der Umstand jedoch, dass in Deutschland Planungsleistungen von Dienstleistern erbracht werden können, die nicht ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben, lässt im Hinblick auf das mit den Mindestsätzen verfolgte Ziel, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu erhalten, eine Inkohärenz in der deutschen Regelung erkennen.“ Der EuGH stellt in seiner Urteilbegründung weiter fest, „dass es der Bundesrepublik Deutschland nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass die in der HOAI vorgesehenen Mindestsätze geeignet sind, die Erreichung des Ziels einer hohen Qualität der Planungsleistungen zu gewährleisten und den Verbraucherschutz sicherzustellen.“
Das Urteil des EuGH bedeutet jetzt nicht unbedingt das Ende der HOAI. Die Rechtsverordnung kann selbstverständlich weiterhin als Vertragsgrundlage zwischen den Parteien vertraglich vereinbart werden. Insoweit gilt die Privatautonomie der Parteien. Der Richterspruch hindert den Verordnungsgeber nur daran, die Mindest- und Höchstsätze der HOAI verbindlich vorzuschreiben. Die Auswirkungen des jetzt gefällten EuGH-Urteils sind gleichwohl sehr gravierend. Auf die Kammern und Verbände kommt viel Aufklärungsarbeit zu. Angesichts der derzeitigen guten Baukonjunktur und der damit verbundenen starken Nachfrage an Planungsleistungen wird der Druck auf die zu erzielenden Honorare momentan zwar noch nicht so groß ausfallen. Mit der Zeit aber werden Bauherren die Architekten und Ingenieure vermehrt dazu auffordern, sich dem Preiswettbewerb zu unterwerfen. Ob man diesen Trend durch Honorarempfehlungen oder verpflichtende Honorarrahmen für die öffentliche Hand aufhalten kann, bleibt abzuwarten. Es bleibt aber festzuhalten, dass die HOAI zumindest in nächster Zeit ein wertvolles Hilfsmittel bei der Honorarermittlung darstellen wird.
Wie geht es weiter? Zunächst ist die Bundesregierung aufgefordert, die bestehende Rechtslage an die Vorgaben des Urteils umgehend anzupassen und die vom EuGH festgestellte Inkohärenz der Mindestpreise zu beseitigen. Die notwendige Anpassung der HOAI wird sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen und nicht vor 2020 umgesetzt werden können. Welche Konsequenzen im Detail aus dem Urteil zu ziehen sind, ist derzeit noch offen und wird intensiv geprüft. Aktuell laufen dazu auf Basis der Urteilsbegründung und der Empfehlungen des EuGH diverse Gespräche zwischen den Verbänden, den Kammern und der Bundesregierung. Der VDV und auch der ZBI sind hier aktiv mit eingebunden.
Und die Vermessung? Die planungsbegleitenden Vermessungsleistungen sind bekanntlich bereits im Jahr 2009 mit der damaligen Neufassung der HOAI als Beratungsleistungen in die Anlage 1 der HOAI verschoben worden und waren somit nur unverbindliche Empfehlungen. Eine mit der Novellierung 2013 beabsichtigte Rückführung in den verbindlichen Teil der HOAI kam nach einer Entscheidung des Bundesrates nicht zustande. Nicht zuletzt dieser Tatsache geschuldet ist, dass Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zu den vermessungstechnischen Leistungen der HOAI seit vielen Jahren bereits Standard im Weiterbildungskanon der Geodäsieverbände sind; es gibt hier also einen gewissen Erfahrungsvorsprung im Umgang mit unverbindlichen Regelungen. Die Herausforderung für alle Verbände und Kammern liegt jetzt auch darin, die möglicherweise kommenden brancheneigenen Honorarempfehlungen miteinander abzustimmen. Hier sind wir aufgrund unserer Zusammenarbeit im Kontext der Interessengemeinschaft Geodäsie, wie auch unserer jahrzehntelangen Mitarbeit im Ausschuss für Honorarordnung (AHO), auf einem sehr guten Weg.
Wer das Urteil des EuGH nachlesen möchte, wird hier fündig: https://t1p.de/EuGH-Urteil