Herausforderungen an die berufspolitische Arbeit eines Ingenieurverbandes
In den letzten Jahren war eine zunehmende Kompetenzverlagerung in den verschiedensten Rechtsnormen zu verzeichnen, sprich: die Europäische Union hat vermehrt Rechtsbereiche für harmonisierungsbedürftig empfunden und entsprechende Regelungen erlassen. Alle EU-Mitgliedstaaten sind an Bestimmungen dieses so genannten Primärrechts gebunden. Damit beeinflusst das europäische Recht auch deutsche Rechtsnormen in zunehmender Weise. Im Rahmen solcher Gesetzgebungsverfahren haben natürlich die Mitgliedsstaaten wie auch Interessengruppen die Möglichkeit, ihre Stellungnahmen einzubringen. Der VDV vertritt die Interessen seine Mitglieder dabei national wie auch international auf den verschiedensten Wegen: sei es durch direkte Gespräche mit Abgeordneten der Parlamente oder auch im Verbund mit Partner- und Dachorganisationen, wie beispielsweise dem Zentralverband der Ingenieurvereine (ZBI) oder der European Group of Surveyors (EGoS). Eines ist aber allen gemeinsam: diese Gespräche und Stellungnahmen bedürfen sehr intensiver und fachkompetenter Vorbereitungen. Der VDV kann hierbei aufgrund seiner fachlich sehr breit aufgestellten Mitgliederstruktur auf ein äußerst kompetentes Netzwerk zurückgreifen.
Ein wesentlicher Eckpfeiler der europäischen Gesetzgebungspolitik ist das Subsidiaritätsprinzip. Übergeordnete Strukturen sollen demnach nur tätig werden, wenn untergeordnete Strukturen sich nicht eigenständig organisieren können. Entsprechend darf die EU daher nur eingreifen, wenn die Maßnahmen der Mitgliedsstaaten nicht ausreichen oder die politischen Ziele nur auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Das Subsidiaritätsprinzip dient nicht nur der Erhaltung der Eigenständigkeit der EU-Staaten, es hilft auch, ein Stückchen „EU-Bürokratie“ abzubauen. Die Europäische Kommission muss damit bei jeder Gesetzesinitiative nachweisen, dass sie die jeweilige Aufgabe besser lösen kann als die Regionen oder die Mitgliedstaaten. Der Vertrag von Amsterdam enthält im so genannten „Subsidiaritätsprotokoll“ dazu auch rechtlich verbindliche Präzisierungen für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Bedeutsam ist auf europäischer Ebene, dass die EU-Kommission und nicht das EU-Parlament darüber bestimmt, wie und was auf EU-Ebene reguliert und auf nationaler Ebene dereguliert werden soll. Häufig führt dies zu einer negativen Wahrnehmung bzw. geringen Akzeptanz der Entscheidungen der EU-Kommission.
Nachfolgend einige Beispiele für die berufspolitischen Aktivitäten des VDV im Kontext der europäischen Regelungen.
Die HOAI vor dem EuGH
Ein in der Fachwelt bekanntes Beispiel ist der Dissens über die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Die EU-Kommission vertritt im Gegensatz zu Deutschland die Auffassung, das System der verbindlichen Mindest- und Höchstpreise der HOAI erschwere die Niederlassung von Architekten und Ingenieuren, die mit Angeboten außerhalb des zugelassenen Preisrahmens mit etablierten Anbietern in Wettbewerb treten wollen. Diese Anbieter, so die EU-Kommission, würden daran gehindert, Leistungen gleicher Qualität zu niedrigeren Preisen und Leistungen höherer Qualität zu höheren Preisen zu erbringen. Dies stelle eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar und sei daher nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht durch das Interesse an der Wahrung der Qualität der Dienstleistungen, welche nach Auffassung der EU-Kommission in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Preis stehe. Die sehr ausführlich begründeten Argumente zur Erhaltung der HOAI müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden, sie wurden im VDVmagazin (und nicht nur dort) bereits mehrfach ausführlich dargestellt. Leider ist die EU-Kommission nicht überzeugt worden und hat im Juni 2017 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Positiv sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ausdrücklich vermerkt: „Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) ist ein unverzichtbares Instrument zur Sicherung von Bauqualität und Baukultur und Voraussetzung eines fairen Leistungswettbewerbs. Wir werden uns für den Erhalt in Deutschland auf europäischer Ebene einsetzen.“ Ein sehr gutes Ergebnis der vereinten Lobbyarbeit der Ingenieurverbände. Aktuell läuft das Verfahren vor dem EuGH noch, mit einer Entscheidung wird voraussichtlich im Frühjahr 2019 zu rechnen sein.
Bereitstellung von Open Data
Vor kurzem wurde der VDV vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gebeten eine Stellungnahme zur der durch die Europäischen Kommission geplanten Novellierung der Richtlinie über die „Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors“ abzugeben. Diese so genannte Public Sector Information (PSI)-Richtlinie bildet den wesentlichen Teil des europäischen Rechtsrahmens für die Bereitstellung von Open Data. Der öffentliche Sektor in den EU-Mitgliedstaaten erzeugt riesige Datenmengen, z. B. meteorologische Daten, digitale Karten, Statistiken und rechtliche Informationen. Diese Informationen sind eine wertvolle Ressource für die digitale Wirtschaft. Sie werden nicht nur als wertvolles Ausgangsmaterial für die Bereitstellung datengestützter Dienste und Anwendungen genutzt, sondern auch, um die Erbringung privater und öffentlicher Dienstleistungen effizienter zu gestalten und besser fundierte Entscheidungen zu treffen. Ziel der PSI-Richtlinie ist es, die Weiterverwendbarkeit von Daten des öffentlichen Sektors umfassend zu verbessern. Dadurch sollen die Möglichkeiten zur Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle auf Basis dieser Daten erweitert werden.
Die jetzt vorgelegte Novellierung der Richtlinie sieht insbesondere vor,
- den Anwendungsbereich auf öffentliche Unternehmen der Daseinsvorsorge zu erweitern,
- Forschungsdaten einzubeziehen,
- die Grenzen für die Erhebung von Gebühren für die Bereitstellung von Daten zu verschärfen,
- erfasste, dynamische Daten grundsätzlich verpflichtend bereit zu stellen und
- im Rahmen eines delegierten Rechtsaktes sog. „High Value Datasets“ zu definieren, die die Mitgliedsstaaten maschinenlesbar und in Echtzeit über APIs bereitstellen müssen.
Der Vorschlag steht im Einklang mit der INSPIRE-Richtlinie die einen rechtlichen und technischen Interoperabilitätsrahmen für die gemeinsame Nutzung von Geodaten im Besitz von Behörden für umweltpolitische Zwecke sowie Maßnahmen und Tätigkeiten mit Auswirkungen auf die Umwelt festlegt, und schreibt diese fort. Folglich fallen Geodaten sowohl unter die PSI-Richtlinie als auch unter die INSPIRE-Richtlinie. Während bei der letzteren jedoch der Schwerpunkt auf Datenzugangsdiensten, Interoperabilitätsmodellen und dem obligatorischen Datenaustausch zwischen Verwaltungen liegt, regelt erstere die Weiterverwendung von Geodatensätzen, einschließlich der Bedingungen für die Weiterverwendung durch Dritte. Um die Rechtssicherheit zu erhöhen, klärt der Vorschlag das Verhältnis zwischen den beiden Richtlinien.
Grundsätzlich begrüßt der VDV die Novellierung der PSI-Richtlinie, gleichwohl gibt es in einzelnen Details durchaus noch Sachverhalte, die im Sinne der VDV-Mitglieder einer Konkretisierung bedürfen. Beispielhaft sei hier die Wechselwirkung zwischen der PSI- und der INSPIRE-Richtlinie genannt. Auch bei der Definition der „High Value Datasets“ sind vor dem Hintergrund, dass dies weitreichende Auswirkungen für den Geoinformationssektor hat, Konkretisierungen angebracht. Der Verbreitung und Nutzung von amtlichen Geobasis- und Geofachdaten stehen derzeit noch komplizierte, unterschiedliche und zu hohe Gebührenregelungen entgegen. Hier ist der VDV der Auffassung, dies wurde auch bereits in einem vielfach beachteten Positionspapier deutlich gemacht, dass der Wert der mit enormem Aufwand erstellten Daten vom Liegenschaftskataster über topografische Daten, Angaben zur Landnutzung oder der zahlreichen kommunalen Geodatenbestände nur Wirkung entfalten kann, wenn er offen zur Verfügung gestellt wird. Der VDV sieht in der Weiterverwendung der durch öffentliche Mittel finanzierten Daten die Möglichkeit, wesentliche Mehrwerte für die Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen.
Anerkennung von Berufsqualifikationen
Ein weiteres Thema betrifft die Anerkennung von Berufsqualifikationen und -erfahrung in der gesamten EU. Auch hier sind berufsständische Aktivitäten erforderlich. Ob dies beispielsweise auch die Ingenieurgesetze der Länder betrifft, muss noch geprüft werden. Hintergrund: Die EU-Kommission hat Mitte Juli beschlossen, Aufforderungsschreiben an 27 Mitgliedstaaten (d.h. alle außer Litauen) zu richten, da deren nationale Rechtsvorschriften und die Verwaltungspraxis nicht mit den EU-Vorschriften über die Anerkennung von Berufsqualifikationen übereinstimmen. Das von der EU – nach eigenen Angaben – moderne System werde nicht umgesetzt. Die Aufforderungsschreiben betreffen zentrale Themen für das Funktionieren der Richtlinie über Berufsqualifikationen, insbesondere die Einführung des Europäischen Berufsausweises, den Vorwarnungsmechanismus, den partiellen Zugang zu einer Berufstätigkeit, die Verhältnismäßigkeit der sprachlichen Anforderungen und die Einrichtung von Beratungszentren. Qualifikationen von Fachkräften, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen oder dort Dienstleistungen erbringen möchten, sollen leichter anerkannt werden. Gleichzeitig, so die EU-Kommission, seien dadurch die Verbraucher wie auch die Bürgerinnen und Bürger besser geschützt. Die Gewährleistung einer kohärenten Anwendung dieser Regeln zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen ist der EU-Kommission ein besonderes Anliegen. Alle Mitgliedstaaten haben jetzt zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Kommission zu reagieren; andernfalls kann die Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln. In ähnlicher Form begann übrigens auch die eingangs vorgestellte Klage der EU-Kommission zur HOAI. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.