Klimawandel. Hochaktuell und doch schon seit langem ein drängendes Megathema. Keine Utopie, sondern ganz konkret und real. Das Thema der Utopie ist die Zukunft, der Klimawandel ist aber jetzt schon Gegenwart. Gleichwohl hat Klimawandel auch mit Utopien zu tun. Der Mensch hat schon immer über die Grenzen der Gegenwart hinausgedacht. Wobei: Die Rede von Utopie transportiert meistens Bilder aus dem Kontext technologischer Veränderungspraxis: Big Data, Künstliche Intelligenz, Transhumanismus etc. pp.. Aber ganz generell verraten Utopien ja oft mehr über die Zeit, in der sie entworfen werden, als über die Zeit, für die sie etwas entwerfen. Da lohnt es sich beispielsweise, in einer 46 Jahre alten Utopie über Umweltkatastrophen und das Überleben der Menschheit zu blättern: „Ökotopia“, 1975 von dem amerikanischen Schriftsteller Ernest Callenbach im Selbstverlag veröffentlicht. Das Buch beschreibt nicht, wie es zu einer Umweltkatastrophe kommt, sondern wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die diese Umweltkatastrophe abwendet. In der breiteren Öffentlichkeit ist das Buch heute fast vergessen. Und tatsächlich erfährt man in dem Buch auch wenig, was für die Umwelt zu tun wäre.
Ganz im Gegenteil zu der 1972, also drei Jahre vorher publizierten legendären Studie „Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“, eine eher kritische Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Folgen des wirtschaftlichen Wachstums auf die natürliche Umwelt des Menschen. Die damalige öffentliche Debatte über Wachstum und seine Folgen bewirkte deshalb auch, dass der Umweltgedanke überhaupt bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen eine Rolle zu spielen begann.
Utopien, also Ideen für eine mögliche Zukunft, werden oft in Krisen geboren. Und aus schwer greifbaren Ideen wurde so manches Mal auch Realität, denken wir nur an den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und seine Vision von der ersten bemannten Mondlandung. Diese Vision, erstmals vorgestellt im amerikanischen Kongress im Mai 1962, war natürlich Teil seiner politischen Strategie und beflügelte Menschen auf der ganzen Welt. Wir alle kennen das Ergebnis. Oder auch die berühmte Rede von Martin Luther King, die er im August 1963 vor mehr als 250.000 Menschen vor dem Lincoln Memorial in Washington hielt: „I have a dream“. 46 Jahre später zog der erste schwarze Präsident ins Weiße Haus ein.
Grundsätzlich gilt also: Bei Veränderungsprojekten ist es wichtig, allen Beteiligten das Ziel und dessen Bedeutung deutlich zu machen. Und das gilt auch für das Ziel, den Klimawandel zu stoppen. Heißt: wir brauchen jetzt diejenigen, die sagen: „Jetzt ist die Zeit für eine neue Vision, eine neue Utopie.“
Utopisches Denken befeuert den Wandel unserer Gesellschaft – und der technische Fortschritt gab den Menschen lange Zeit auch ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit. Die Welt wirkte beherrschbar. Ganz so einfach ist es aber dann eben doch nicht.
Probleme wie der Klimawandel provozieren also geradezu utopisches Denken. Und so etwas ist wichtig, um Veränderungen anzustoßen, denn viele Menschen träumen von einer Welt, in der das Leben für kommende Generationen gesichert ist. Soziale Bewegungen wie Fridays für Future stehen im positiven Sinne beispielhaft für gelebte Utopien. Sie müssen anschlussfähig sein, aber auch kontrovers genug, um zu funktionieren.
Utopien werden aus Krisen heraus geboren – und das 21. Jahrhundert ist voll davon. Konflikte, wie die Klimakrise wirken unlösbar. Für viele steht deshalb fest: die Lebensweise der Menschen muss sich ändern, um Platz für eine bessere Welt schaffen zu können.
Aber: des einen Utopie ist des anderen Dystopie. Wir haben in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl oft genug davon gehört: Was für einige im positiven Sinne anschlussfähig ist, erscheint anderen eher als ein Furchtbild vor der Zukunft.
Der Schriftsteller Hermann Hesse hat einmal gesagt: „Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.“
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – wenn nicht sogar die mit Abstand Größte – und wurde in den letzten Jahren zunehmend auch so wahrgenommen – bis Corona unser aller Leben und die globale Wirtschaft innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf stellte und den Klimawandel damit kurzzeitig etwas in den Hintergrund rückte. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Erderwärmung zwischenzeitlich pausierte. Und was vielen möglicherweise nicht so klar ist: der Klimawandel ist auch ein virologischer Risikofaktor. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Zerstörung bestimmter Ökosysteme, der globalen Erwärmung und dem Ausbruch solcher Pandemien wie Sars-CoV-2. Die massive Zerstörung unserer Umwelt ist dabei der wesentliche Punkt. Diese Pandemie war also kein Naturereignis, dass plötzlich über uns hereinbrach. Wenn wir eins aus dieser Katastrophe lernen können, dann ist es ein maßvollerer Umgang mit der Natur.
Welche Perspektive es für Klimaschutz in Zeiten nach Corona gibt, ist aktuell noch offen und hängt u.a. auch von der Regierungsbildung ab. Theoretisch wären die Pariser Klimaziele vielleicht sogar noch zu erreichen, aber dazu müsste es einen fundamentalen Wechsel nicht nur in der Bundes- sondern in der gesamten Weltpolitik geben. Aktuell habe ich da so meine Bedenken.
Möglicherweise bietet die Pandemie mit ihren Lockdowns aber eine nie dagewesene Möglichkeit, den Umbau des Energiesystems entscheidend zu beschleunigen und damit die CO2-Belastung signifikant zu senken. Allerdings ist dafür sehr viel Mut angesagt: Staatliche Eingriffe, die in der sozialen Marktwirtschaft lange Zeit als Tabu galten, werden jetzt als legitim angesehen, wenn es darum geht, beispielsweise die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen – auch wenn dies massive wirtschaftliche Einschränkungen bedeutet. Immerhin sind in der letzten Legislatur Finanzmittel in einem Umfang verfügbar gemacht worden, der in normalen Zeiten undenkbar erscheint. So umfasste das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket der großen Koalition über 50 Milliarden Euro allein für mehr Klimaschutzmaßnahmen und Investitionen in Zukunftstechnologien.
Eigentlich eine ideale Gelegenheit für strukturelle Veränderungen und einen Umbau hin zu einer ressourceneffizienten, nachhaltigen und zugleich wettbewerbsfähigen Wirtschaft, so wie es beispielsweise der European Green Deal der von-der-Leyen-Kommission vorsieht.
Wir müssen uns natürlich darüber im Klaren sein, dass das Coronavirus sicherlich nicht zur Eindämmung des Klimawandels führen wird. Aber es hat gezeigt, wie groß der Effekt auf die Umwelt sein kann, wenn wir handeln und Verkehr und Industrie schlagartig runtergefahren werden. Und wir haben jetzt die Chance, endlich ambitionierten Klimaschutz zu betreiben. Denn eines ist sicher: ein ungebremster Klimawandel wird die Lebensbedingungen auf der Erde dramatisch verschlechtern – und das mit unabsehbaren Folgen.
Postwachstumsökonomie, Gemeinwohlökonomie, plurale Ökonomik. Es gibt viele Namen und entsprechend viele Gesichter für eine nachhaltige Wirtschaft. Allen gemein ist ein Umdenken, hin zu einem anderen, zukunftsfähigen Wirtschaftssystem. Es soll weg gehen von monetären Bewertungen, von kurzfristigen Ergebnissen. Stattdessen sollen neue Werte geschaffen werden, neue gesellschaftliche Ziele. In der letzten Zeit hat sich die Debatte leider stark polarisiert. Diskutiert wird jetzt beispielsweise, ob es wichtiger sei, wirtschaftliche Ziele zu fördern oder das Klima zu schützen. Wichtig erscheint mir in diesem Kontext zu reflektieren, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit keinesfalls als Verzichtsaufforderung im Sinne von Ge- und Verboten aufgefasst werden sollten. In einer Atmosphäre, in der diese Thematik hochgradig politisiert und außergewöhnlich emotional belegt ist, kommt es deshalb sehr darauf an, dafür Vertrauen und eine breite Akzeptanz aufzubauen. Eine Klimaschutz-Regierung sollte deshalb unbedingt auch die Vorteile deutlich machen. Transparenz und offene Kommunikation ist in diesem Kontext von außerordentlicher Bedeutung. Klandestines Agieren, also geheime Hinterzimmerpolitik, ist hier absolut kontraproduktiv. Klimaschutz geht uns alle etwas an!
Viele Folgen des Klimawandels können wir schon heute nicht mehr rückgängig machen bzw. kaum noch vermeiden. Das zeigt beispielhaft der aktuelle Bericht des Weltklimarates der Vereinten Nationen, der eindeutig feststellt, dass sich der Einfluss des Menschen auf das Klima deutlich nachweisen lässt und der dadurch hervorgerufene Klimawandel konkrete Auswirkungen auf Wetterextreme in allen Regionen der Welt hat. Auch wir in Deutschland haben das erst kürzlich sehr schmerzhaft feststellen müssen. Klimaschutz ist deshalb eine überlebensnotwendige Aufgabe, die wir ernst nehmen müssen – sehr ernst!
Sie, sehr geehrter Herr Latif mahnen bereits seit vielen Jahren, das Thema ernst zu nehmen und setzen sich aktiv für die Entwicklung und Umsetzung langfristiger Strategien ein. Die Rückführung der Treibhausgase bis Mitte des Jahrhunderts steht als eines der wichtigsten Ziele dabei im Fokus. Weltpolitisch stehen die Zeichen dafür zwar denkbar schlecht, gleichwohl bleiben Sie nach Ihren eigenen Worten ein „hoffnungsloser Optimist“. Und das wiederum finde ich persönlich sehr sympathisch und motivierend.
Lieber Herr Latif, Sie waren und sind ein eindringlicher Mahner für einen nachhaltigen Klimaschutz und in Ihrem Engagement absolut beispielgebend. Sie verfügen über einen sehr weiten Zielhorizont und sind mit einer der treibenden Kräfte dafür, dass wir einen dringenden und konsequenten Wandel unserer Klimapolitik brauchen. Ich freue mich sehr, Sie im Kreise der Lotträger begrüßen zu können.
Herzlichen Glückwunsch!