Da ist es also, das neue Jahr. Aber die so genannten Topthemen sind irgendwie immer noch die gleichen wie im Vorjahr. Geht das Leben also einfach so weiter? Künstliche Intelligenz und Digitalisierung sind in unserem (Berufs-)Leben bereits feste Größen. Klimawandel und Fachkräftebedarf sind ebenfalls in der aktuellen Politik angekommen und sogar der Brexit scheint jetzt auf der Zielgeraden zu sein. Aufgeregte Diskussionen lohnen demnach nicht.
Wirklich nicht?
„Wieso, weshalb, warum – Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Das ist nicht nur der Text der berühmten Titelmusik der Sesamstraße, sondern sollte in gewisser Weise auch ein Grundsatz für unser aller Handeln sein. Bleiben also doch die „großen“ Fragen: Wie verändert sich unsere Gesellschaft? Welche großen Treiber sorgen für globalen Fortschritt und Innovationen? Worin liegen die Chancen und Potenziale, aber auch die Herausforderungen für die kommenden Jahre? Und was hat das alles mit der Geodäsie, also einem überwiegend technisch ausgerichteten Beruf zu tun?
Zu letzterem ist die Antwort relativ kurz: „Geodäten gestalten die Welt“. Aber natürlich ist das sehr plakativ und stark generalisiert. Und selbstverständlich haben wir Geodäten auch nicht den normativen Anspruch, dass wir alles bewältigen können. Gleichwohl: Als Ingenieure tragen wir durchaus eine große Verantwortung für unser Handeln und als Teil der Gesellschaft sowieso. Dies gilt aus technischer Sicht ebenso wie aus der moralischen Perspektive. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat in diesem Zusammenhang angemerkt: „Technologie ist wichtig, aber nicht alles. Die Zukunft hängt nicht nur von sensationellen Innovationen ab, sondern elementar auch von Soziotechniken, humanen Kooperationsformen, von Emotionen und psychologischen Prozessen.“[1]
Sicher ist, wir leben aktuell in einer Phase umfassender technologischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Umbrüche. Beispiele hierfür sind die Demographie, der Klimaschutz ebenso wie die „Trumpisierung“ (= Verrohung der Umgangsformen) der Welt. Selten war so viel von Wertewandel, Werteverlust und Orientierungslosigkeit die Rede wie heute. Glaubte man denen, die so reden, stünde es tatsächlich schlecht um unsere Gesellschaft, taumelte diese ihrer Selbstauflösung entgegen, zumindest aber einem Zustand, in dem die alten Orientierungen nicht mehr halten und neue nicht in Sicht sind, in dem die alten Werte nicht mehr gelten und neue kein gesellschaftliches Glück versprechen.
Doch das bloße Wissen über die Zustände der Welt („Fakten“) bewirkt bekanntermaßen keineswegs eine zwangsläufige daraus folgende grundlegende Änderung des gesellschaftlichen Bewusstseins. Auch wenn es derzeit für konkrete politische Vorschläge, die sich aus diesem kritischen Wissen ableiten, wie z.B. Ressourcen und Nachhaltigkeit, Energiewende oder auch das Klimaschutzpaket, durchaus gesellschaftliche Mehrheiten gibt, so bleiben diese doch eher unzusammenhängend, fügen sich weder ein in ein neues, umfassendes Reform- oder gar Transformationsprojekt, noch übersetzen sie sich in eine allseits mobilisierende Zukunftsstrategie politischer Parteien. Gleichwohl: „Nichts ist weniger unschuldig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen“, sagte der französische Sozialphilosoph Pierre Bourdieu.[2] Und auch wir Ingenieure können und dürfen uns unserer Verantwortung nicht entziehen. Im Gegenteil, wir sollten noch stärker unsere Rolle annehmen und versuchen Teil der Lösung zu sein. Denn die entscheidenden Entwicklungen, beispielsweise im Kontext des Klimaschutzes, werden technischer Natur sein, also werden sie von Ingenieuren gefunden und umgesetzt werden müssen.
In einer globalisierten Welt wie der unsrigen ist es wichtig, den Umgang mit Vielfalt zu üben und den gesellschaftlichen Diskurs zu pflegen. Und dazu brauchen wir zumindest ansatzweise eine Gesellschaft, die Lust am eigenen, kreativen Denken fördert und keine spaltende Polemik. Wie kreativ eine Gesellschaft ist, lässt sich nicht administrativ verordnen und messen. Aber es gibt Faktoren, die eine solche Gesellschaft unabdingbar braucht. Varianz gehört dazu, das Zulassen von Widerspruch und die Fähigkeit, aus Ideen Innovationen zu machen.
Etliche Zukunftsfragen drängen aktuell auf die gesellschaftspolitische Agenda, und die Suche nach Antworten macht uns zuweilen aufgrund der Vielschichtigkeit, Komplexität und Dynamik der Probleme auch ratlos. Wir sollten uns davon aber nicht entmutigen lassen. Die Zukunft sicher prognostizieren, das kann – in Anlehnung an die Kopenhagener Deutung – niemand von uns. Wir können uns aber die Frage stellen, welche Herausforderungen uns zukünftig erwarten und wie wir die notwendigen Veränderungsprozesse aktiv mitgestalten können.
Was wir dazu brauchen, sind Menschen, die voraus denken und auch handeln. Menschen, die für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Schöpfung stehen. Menschen mit Moral, die humanistische Ideale nicht nur verbal äußern, sondern auch vorleben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr.
Ihr
Wilfried Grunau
[1] Matthias Horx. Die 10 Paradigmen des Humanistischen Futurismus. www.horx.com/zukunftsforschung/humanistischer-futurismus. Abgerufen am 25.12.2019
[2] Pierre Bourdieu. La misère du monde. Editions du Seuil. Paris 1993