Die Digitalisierung stellt uns, unsere Gesellschaft und die Arbeitswelt vor große Herausforderungen. Damit verbunden ist ein Transformationsprozess, der nicht rein wirtschaftlich-technologischer, sondern gesamtgesellschaftlicher Natur ist.
Egal, ob es um die tägliche Kommunikation, die Gesundheitsversorgung oder den Bildungsbereich geht: Die Digitalisierung verändert Schritt für Schritt unser gesamtes privates und berufliches Umfeld. Sie eröffnet viele neue Chancen, birgt aber durchaus auch Risiken und weckt Ängste, die wir ernst nehmen müssen.
Bei der Digitalisierung geht es im Wesentlichen um die digitale Vernetzung von Informationen. Die spannende Herausforderung liegt hingegen in der Frage, wie die digitale Transformation systematisch in die Gesellschaft implementiert werden kann. Die neuen digitalen Technologien bieten völlig andere Dimensionen der Informationsverfügbarkeit und radikal neue Möglichkeiten der Vernetzung – nicht umsonst wird in diesem Kontext von einer disruptiven Innovation gesprochen. Cloud Computing, Big Data, Sharing Economy, dezentrale und individualisierte Fertigungstechniken, wie auch autonome Systeme stehen als Schlagwörter dafür. Die Antwort auf diese Komplexität kann nur vernetztes Arbeiten lauten, d.h. die kooperative und kollektive Zusammenarbeit im Team („Kollaboration“) muss zwingend eine Kernkompetenz werden. Auch unser Berufsfeld befindet sich durch die Digitalisierung im Umbruch. Fachlich gesehen wird dies im Bereich der Geodäsie beispielsweise über die Themenfelder BIM, Smart City oder auch Smart Country realisiert. Gemeinsame Arbeitskreise der Berufs- und Fachorganisationen entwickeln bereits Leitlinien und Regelwerke und es gibt zahllose Weiterbildungsveranstaltungen wie auch eine wachsende Anzahl an Fachliteratur dazu. Im Grunde genommen geht es – beispielsweise in den Bereichen Infrastruktur und Vernetzung – „nur“ darum, alles datentechnisch zu verbinden und in der Wertschöpfungskette Bau darum, Kosten zu senken und auf diese Weise Produktionsgewinne zu realisieren.
Soweit so gut und ingenieurtechnisch oder wirtschaftlich gesehen sicherlich ein lösbares Unterfangen. Wenn da nicht noch ein paar weitere Problemfelder wären, die weniger die technische Seite, sondern vielmehr die Wechselwirkung auf die Sozialgesellschaft in den Vordergrund rückt. Hier geht es z.B. um Unternehmenskultur und Kompetenzen, es geht um Einstellungen und Verhaltensweisen, es geht um das, was Arbeit prägt. Ein zentrales Element ist hier z.B. die Bereitschaft zu lernen und eigene Kompetenzen weiterzuentwickeln. Dies gilt für einzelne Menschen ebenso wie für Unternehmen und Organisationen. Der Ökonom und Managementdenker Peter Drucker hat bereits vor rund 60 Jahren in seinem Standardwerk „Landmarks of Tomorrow“ den Aufstieg der Wissensgesellschaft beschrieben und damit, seiner Zeit weit voraus, eine noch heute gültige fundamentale Herausforderung für den Umgang mit der digitalen Transformation formuliert: die Neugestaltung der Arbeitsumfelder durch Förderung von Maßnahmen zur Generierung neuen Wissens. Drucker sah bereits 1959 „die Gefahr, dass die (…) Gesellschaft zu einer Klassengesellschaft wird, wenn die Dienstleistungsarbeiter nicht zu Einkommen und Ansehen gelangen.“ Und weiter: „Jeder kann sich die ‚Produktionsmittel‘, also das für eine Aufgabe erforderliche Wissen aneignen, aber nicht jeder kann gewinnen.“[1]
Welche digitalen Kompetenzen müssen Menschen in der Arbeitswelt haben oder erwerben, als Arbeitnehmer wie auch als Arbeitgeber? Wie können Schulen, Hochschulen und Universitäten den Lernenden diese nötige digitale Kompetenz vermitteln? Und wie verhindern wir, dass die Digitalisierung digitale Gewinner und Verlierer hervorbringt? Allein diese Fragen zeigen: Der digitale Wandel bringt Herausforderungen mit sich, die uns alle betreffen und die wir gemeinsam beantworten müssen, um die Digitalisierung für die Menschen, für Wirtschaft und Arbeit gleichermaßen fair zu gestalten. Fest steht, dass Digitale Kompetenzen heutzutage unerlässlich sind für mehr digitale Teilhabe und damit auch für gesellschaftliche Teilhabe. In einem Dialogprozess für ein grundlegendes Weißbuch zum Thema „Arbeiten 4.0“, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im April 2015 begonnen hat, werden diese zentralen Spannungsfelder der Arbeitswelt 4.0 sehr detailliert betrachtet und in einem breiten gesellschaftlichen Dialog diskutiert.
Und das Rad dreht sich immer schneller: aktuell macht die Blockchain-Technologie sogar die Geschäftsmodelle der Disruptoren selbst obsolet, d.h. einheitliche, durch kryptographische Verfahren nachträglich nicht veränderbare dezentral gespeicherte Datenbasen ermöglichen direkt verifizierbare Aktionen und sind wesentlich schneller als bislang genutzte (auch hochaktuelle) Verfahren und Methoden. Bezogen auf unser Fachgebiet kann das bedeuten, dass Informationen beliebiger Art wie z.B. Kaufverträge oder auch Grundbucheinträge, die durch die Blockchain-Technologie verifiziert werden, dann keine sie verwaltende oder beglaubigende Instanz (z.B. den Staat) mehr benötigen, da die Verifizierbarkeit und Nichtveränderlichkeit bereits in der Technologie verankert und damit systemimmanent sind.
Was also verändert sich durch die Digitalisierung für uns? Welche Kompetenzen werden heute von Ingenieurinnen und Ingenieuren erwartet? Sind wir als Führungskräfte überhaupt auf ein Führen in der digitalen Welt vorbereitet? Wichtig ist die grundlegende Erkenntnis, dass die Digitalisierung kein isolierter Prozess ist. Sie funktioniert nicht ohne Treiber, die die komplexen Digitalisierungsprozesse sehen, verstehen und voranbringen. Auf der INTERGEO® in Berlin werden wir die Gelegenheit haben, uns mit diesen unser Berufsfeld betreffenden Themenfeldern sehr intensiv auseinanderzusetzen und darüber zu disputieren. Wir Geodäten sind doch geradezu prädestiniert, neue Entwicklungen strategisch voraus zu denken, dabei jedoch flexibel und anpassungsfähig für neue Entwicklungen zu bleiben. Lassen Sie uns doch diesen Vorteil aktiv nutzen und lassen Sie uns gemeinsam nach Antworten suchen!
Die Digitalisierung bietet vielfältige Innovationschancen. Dies gilt für Wirtschaft und Politik, Verwaltung und Wirtschaft ebenso wie für die Gesellschaft als Ganzes. Und: Für die digitale Transformation gibt es offensichtlich keine Standardlösung. Gefragt sind Offenheit, die Bereitschaft zu lernen und Experimentierfreude. Wer Digitalisierung auf Technologien reduziert, liegt falsch. Nur wenige denken im Kontext von Digitalisierung an einen Kulturwandel. Dabei ist gerade dies die zwingende Voraussetzung für eine echte digitale Transformation: Einen Kulturwandel herbeizuführen, der sowohl das Management als auch die Mitarbeiter mitnimmt. Entscheidend ist ein Ansatz, der das Verfahren ganzheitlich betrachtet. Dazu zählen die Anpassung der Unternehmenskultur und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, aber auch und gerade die Anpassung der Prozesse und damit der Organisation. Man muss kein Digital Native sein, um die Chancen der Digitalisierung erfolgreich zu nutzen. Viel wichtiger ist es meines Erachtens, die Herausforderung zu erkennen, sie anzunehmen, dem Umfeld eine Vision zu geben, den Wandel aktiv zu gestalten, zu evaluieren und in einem offenen, transparenten Dialog gegebenenfalls nachzujustieren.
In diesem Sinne freue ich mich auf anregende Diskussionen und ein Wiedersehen auf der INTERGEO® in Berlin.
Ihr
Wilfried Grunau
[1] Peter A. Drucker: Landmarks of Tomorrow. On economic and social progress in the twentieth-century. Verlag Harper and Brothers, 1959.