Dass die Welt digital ist oder werden wird, scheint ausgemachte Sache und ist zwischenzeitlich wohl auch schon bis in die letzten Ecken des Landes vorgedrungen. Aktuell steht also nur noch die flächendeckende(!?) und schon lange versprochene Versorgung mit schnellem Internet aus und dann kann’s endlich losgehen. Aber ist die Digitalisierung wirklich das Ziel aller Dinge? Nicht wenige – auch Ingenieur_innen – fragen beispielweise: wo bleibt der Mensch? Sei es nun aus existenziellen (fällt möglicherweise der Arbeitsplatz weg?) oder auch aus ethischen Gründen (gefährdet die künstliche Intelligenz mittel- bis langfristig sogar die Existenz der Menschheit?).
In einer weltweiten Umfrage unter Unternehmensvorständen haben zwei Drittel der befragten CEO angegeben, dass nicht mehr Menschen ihre wichtigste Ressource sind, sondern Technologie[1]. Das ist eine durchaus beängstigende Aussage, allerdings zwei Jahre alt. Eine Oxford-Studie[2] aus dem Jahre 2013 prognostizierte, dass Software und Roboter in den nächsten 20 Jahren die Hälfte aller menschlichen Jobs ersetzen werden. Ein Viertel dieser Zeit ist schon vergangen. Es ist sicherlich richtig, dass die Arbeit sich verändert hat, aber das ist nichts Neues. Verfolgt man die aktuelle Berichterstattung rund um den Themenkomplex Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI), dann ist beispielsweise von signifikanten Rationalisierungsprozessen die Rede. Walter Sinn, Deutschlandchef der Unternehmensberatung Bain & Company, sagte kürzlich etwas zugespitzt eine „Erosion der Mittelschicht“ sowie „gesellschaftliche und wirtschaftliche Instabilität“ voraus, weil Digitalisierung und KI den Fachkräftemangel überkompensierten[3]. Der Philosoph und Publizist Richard David Precht fordert angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und des befürchteten Wegfalls von traditionellen Arbeitsplätzen in Millionenhöhe gar ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Zwar gelten die Digitalisierung und in ihrer weiteren Entwicklung die KI als die Zukunftstechnologien schlechthin und bei vielen als Vernichter von Millionen von Arbeitsplätzen. Damit hat der Glaube an diese alles verändernde Macht des Digitalen aber schon fast so etwas wie Endzeitstimmung. Doch die Schreckensszenarien fußen überwiegend auf Annahmen und von der Realität zum Teil längst überholten Prognosen. Beispielsweise arbeiten wir heute – entgegen allen früheren Vorhersagen – nicht alle als Cyber-Nomaden von Zuhause, im Café oder im Zug.
Aktuell wird nun die Künstliche Intelligenz in den Fokus gerückt: Diese soll Deutschland zu einem attraktiveren Forschungsstandort machen, neue Wertschöpfungspotenziale erschließen und uns Menschen die Arbeit erleichtern. So zumindest sieht es in Anlehnung an den Koalitionsvertrag das jüngst veröffentlichte Papier der Bundesregierung mit Eckpunkten für eine „Strategie Künstliche Intelligenz“ in Deutschland[4]. Deshalb hat das Kabinett kürzlich auch die Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen ins Leben gerufen[5]. Dabei handelt es sich solche Innovationen, die eine radikale technologische Neuerung beinhalten. Sie haben das Potenzial, bislang bekannte Techniken und Dienstleistungen bahnbrechend zu verändern und zu ersetzen. Die neue Agentur soll nun den Forschern und Erfindern dabei helfen, ihre Ideen – wie beispielsweise neuen Formen der Mobilität oder der Künstlichen Intelligenz – in die Praxis zu bringen und damit Deutschland wieder an die Spitze der technologischen Entwicklung katapultieren. Viele Zukunftsforscher prognostizieren derzeit, dass die kommenden neuen Technologien uns Berufe und Tätigkeiten bringen werden, die wir heute noch gar nicht mit Namen kennen. Das mag stimmen, diese Aussage galt aber auch schon in früheren Zeiten und ist eigentlich nicht gerade überraschend. Gleichwohl, es klingt spannend, aber eben auch beängstigend.
Natürlich: Die digitalen Technologien entwickeln sich äußerst rasant – um einiges schneller als der Mensch sich anpassen kann – und verlangen uns in unserem Arbeitsalltag auch einiges ab. Aber betrachten wir die Situation doch einmal aus unserer fachlichen, in meinem konkreten Fall also der geodätischen Perspektive: Die Geodäsie hat ca. 30 bis 40 Jahre Erfahrung in der Digitalisierung ihrer Daten und ihrer Prozesse. Kaum eine andere Profession hat derartige Erfahrungen. Der digitale Fortschritt hat in der Geodäsie sehr früh begonnen und Geodät_innen sind an vielen Stellen deshalb deutlich weiter, als es in anderen gesellschaftlich relevanten Prozessen der Fall ist. Mehr noch: die digitale geodätische Expertise bildet an vielen Stellen die Basis für Mehrwert. Anders ausgedrückt: Geodät_innen sind aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrungen geradezu prädestiniert, neue Entwicklungen strategisch weit voraus zu denken, dabei jedoch flexibel und anpassungsfähig für neue Innovationen zu bleiben. Geodaten gehören zu den wichtigsten Daten überhaupt und sind anerkanntermaßen weltweit längst die Grundlage nahezu aller digitalen Prozesse, ja sie werden sogar schon als die DNA der Digitalisierung bezeichnet. Kaum ein aktuelles Megathema, an dem geodätische Innovationen nicht beteiligt sind, sei es nun Umwelt oder Mobilität, Gesundheit oder Energie. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
All das klingt doch schon mal – zumindest für die Vermessungsingenieur_innen unter uns – beruhigend und sollte uns demzufolge einigermaßen hoffnungsfroh stimmen. Ich denke, dass sich ähnliche Ansätze auch für nahezu alle anderen Ingenieurdisziplinen finden lassen. Gleichwohl müssen wir aber noch sehr intensiv an unserer Selbstvermarktung arbeiten. Wir müssen unser jeweiliges Berufsfeld noch mehr im Kontext der neuen, spannenden Arbeitsfelder darstellen und wir müssen die hohe gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung unserer fachlichen Expertise noch mehr in den öffentlichen Fokus rücken. Aber: Wir sind bereits auf dem richtigen Weg! Und auf den zahlreichen Tagungen der ZBI-Mitgliedsverbände werden wir die Gelegenheit haben, uns mit diesen unser Berufsfeld betreffenden Themenfeldern weiter sehr intensiv auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren. In diesem Sinne freue mich auf die Gespräche mit Ihnen.
Ihr
Wilfried Grunau
[1] Wallstreet Journal v. 17.11.2016, https://www.wsj.com/articles/ceos-no-longer-say-people-are-our-greatest-asset-according-to-new-report-1479412130 (Zuletzt abgerufen 05.09.2018)
[2] Carl Benedikt Frey, Michael A. Osborne: The Future of Employment. https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf (Zuletzt abgerufen 05.09.2018)
[3] Managermagazin v. 5.07.2018, http://www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/die-bedrohung-der-mittelschicht-in-den-2020er-jahren-a-1216677.html (Zuletzt abgerufen 05.09.2018)
[4] Eckpunkte der Bundesregierung für eine Strategie Künstliche Intelligenz, https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2018/eckpunkte-strategie-ki.html (Zuletzt abgerufen 05.09.2018)
[5] Pressemitteilung des BMBF v. 29.8.2018, https://www.bmbf.de/de/bundeskabinett-beschliesst-agentur-zur-foerderung-von-sprunginnovationen-6817.html (Zuletzt abgerufen 05.09.2018)